Veröffentlicht am Mai 17, 2024

Entgegen der landläufigen Meinung ist Slow Fashion keine Einkaufsstrategie, sondern eine Lebensphilosophie, die unsere Beziehung zu Kleidung grundlegend verändert.

  • Der wahre Wert entsteht nicht beim Kauf, sondern durch die Geschichten, die wir mit unseren Stücken durch Pflege und Reparatur schreiben.
  • Es geht um die Rückeroberung handwerklicher Fähigkeiten und die Wertschätzung für die Langlebigkeit eines Kleidungsstücks.

Empfehlung: Beginnen Sie Ihre Reise nicht mit einem Neukauf, sondern mit einer liebevollen Inventur Ihres eigenen Kleiderschranks. Entdecken Sie die Schätze, die Sie bereits besitzen, neu.

Die Welt der Mode gleicht oft einem reißenden Strom: Kollektionen wechseln im Wochentakt, Trends verblassen, bevor sie richtig begonnen haben, und der Druck, ständig Neues zu konsumieren, ist allgegenwärtig. Viele von uns fühlen sich von dieser Schnelllebigkeit erschöpft und suchen nach einem Anker, nach etwas Dauerhaftem und Bedeutungsvollem. Wir sehnen uns nach einer tieferen Verbindung zu den Dingen, mit denen wir uns umgeben, insbesondere zu unserer Kleidung, unserer zweiten Haut.

Die üblichen Ratschläge sind bekannt: Kaufen Sie nachhaltige Mode, achten Sie auf Zertifikate oder setzen Sie auf Second-Hand. Dies sind zweifellos wichtige Schritte. Doch sie kratzen nur an der Oberfläche eines viel tieferen Konzepts. Was, wenn der Schlüssel nicht allein darin liegt, *was* wir kaufen, sondern *wie* wir mit dem leben, was wir bereits besitzen? Was, wenn die wahre Freude an Mode nicht im flüchtigen Rausch des Neuen, sondern in der dauerhaften Beziehung zu einem geliebten Stück liegt?

Dieser Artikel lädt Sie ein, Slow Fashion nicht als eine weitere Checkliste, sondern als einen ganzheitlichen Lebensstil zu begreifen. Wir werden die Perspektive verschieben – weg vom passiven Konsum, hin zur aktiven Gestaltung und Wertschätzung. Es ist eine Reise, die bei der Definition beginnt, uns durch die Kunst der Reparatur und die Freude am Gebrauchtkauf führt und uns schließlich die Macht unserer eigenen Hände und die Geschichten in unseren Kleidern wiederentdecken lässt. Es ist eine Einladung, eine neue, achtsame und zutiefst persönliche Mode-Biografie zu schreiben.

Um diesen Weg strukturiert zu erkunden, werfen wir einen Blick auf die zentralen Säulen, die diesen Lebensstil ausmachen. Der folgende Überblick dient als Kompass für unsere gemeinsame Reise in eine bewusstere und erfüllendere Modewelt.

Der entscheidende Unterschied zwischen nachhaltiger Mode und Slow Fashion

Oft werden die Begriffe „nachhaltige Mode“ und „Slow Fashion“ synonym verwendet, doch sie beschreiben zwei unterschiedliche, wenn auch verwandte, Konzepte. Nachhaltige Mode konzentriert sich primär auf das Produkt: Sie fragt nach Materialien (Bio-Baumwolle, recyceltes Polyester), Produktionsbedingungen (faire Löhne, sichere Arbeitsplätze) und Zertifikaten. Es ist ein Versuch, den Schaden der Industrie durch bessere Herstellungsverfahren zu minimieren. Dies ist ein essenzieller und notwendiger Schritt.

Slow Fashion hingegen ist ein Prozess, eine Philosophie, die den gesamten Lebenszyklus eines Kleidungsstücks umfasst – und zwar aus der Perspektive des Trägers. Es geht weniger um das, was man kauft, sondern darum, wie man mit dem Gekauften lebt. Slow Fashion stellt die Frage: Wie kann ich die Lebensdauer dieses Stücks maximieren? Es ist eine bewusste Entscheidung gegen die Wegwerfmentalität und für eine langfristige Beziehung zu unserer Garderobe.

Der Kernunterschied liegt im Fokus: Nachhaltige Mode verbessert die Produktion, Slow Fashion verändert unser Verhalten. Während Erstere uns bessere Optionen zum Kaufen gibt, lehrt uns Letztere, weniger und bewusster zu kaufen und stattdessen zu pflegen, zu reparieren und wertzuschätzen. Slow Fashion ist die gelebte Praxis, die einem nachhaltig produzierten Kleidungsstück erst seinen wahren Sinn verleiht, indem sie es vor einem schnellen Ende im Altkleidercontainer bewahrt.

Letztlich ergänzen sich beide Konzepte ideal: Der Kauf eines fair und ökologisch produzierten Teils ist der perfekte Startpunkt für eine lange und achtsame Beziehung im Sinne der Slow Fashion.

Die Kunst der sichtbaren Reparatur: Wie Sie aus einem Loch ein modisches Statement machen

Ein Loch im Lieblingspullover oder ein Riss in der Jeans wird oft als Makel, als Ende der Lebensdauer wahrgenommen. Die Slow-Fashion-Philosophie kehrt diese Perspektive um: Sie sieht darin eine Chance. Eine Chance, dem Kleidungsstück eine weitere Ebene seiner Geschichte hinzuzufügen. Die sichtbare Reparatur (Visible Mending), inspiriert von traditionellen japanischen Techniken wie Sashiko, erhebt das Flicken zur Kunstform. Statt ein Loch unsichtbar zu machen, wird es mit kontrastierendem Garn und kreativen Stichen bewusst hervorgehoben.

Diese Geste ist mehr als nur handwerkliches Geschick; sie ist ein Statement. Sie zelebriert die Ästhetik der Langlebigkeit und stellt sich offen gegen die makellose Perfektion der Massenproduktion. Ein so repariertes Stück wird zum Unikat, das eine Geschichte von Sorgfalt und Wertschätzung erzählt. Es zeigt, dass etwas Geliebtes es wert ist, erhalten zu werden. Die gute Nachricht: Reparieren ist erstaunlich erfolgreich. Eine Analyse deutscher Repair Cafés zeigt, dass bei Kleidern und Röcken 91,5 % der Reparaturversuche gelingen und selbst bei komplexeren Gegenständen wie Taschen eine Erfolgsquote von 84 % erreicht wird.

Kunstvolle sichtbare Reparatur an Jeans mit traditioneller Sticktechnik

Wie dieses Detail einer kunstvollen Stickerei auf Denim zeigt, kann eine Reparatur zu einem echten Schmuckstück werden. Und für diejenigen, die sich den ersten Stich nicht zutrauen, gibt es innovative Lösungen. Das deutsche Unternehmen MENDED zum Beispiel bietet einen Online-Reparaturservice per Post an, der es so unkompliziert macht, Kleidung reparieren zu lassen wie sie neu zu kaufen.

Fallbeispiel: MENDED – Reparatur so einfach wie Neukauf

MENDED hat den Reparaturprozess für den digitalen Alltag neu gedacht. Kunden beschreiben online das Problem ihres Kleidungsstücks, erhalten ein Versandlabel und schicken es ein. Innerhalb von etwa zehn Tagen kommt das professionell reparierte Stück zurück. Dieser Service senkt die Hürde für alle, die (noch) nicht selbst zu Nadel und Faden greifen möchten, und beweist, dass Reparatur ein modernes und praktikables Geschäftsmodell sein kann.

Jede Naht, jeder Flicken wird so zu einem Zeichen der Zuneigung und verwandelt ein beschädigtes Kleidungsstück in ein wertvolles, persönliches Kunstwerk.

Schätze statt Neuware: Der ultimative Guide für erfolgreiches Second-Hand-Shopping

Der nachhaltigste Kleiderschrank ist der, der bereits existiert. Second-Hand-Shopping ist daher eine der tragenden Säulen des Slow-Fashion-Lebensstils. Es ist eine Schatzsuche, die nicht nur den Geldbeutel und die Umwelt schont, sondern auch die Möglichkeit bietet, einzigartige Stücke mit Geschichte zu finden, die sich vom Einerlei der großen Modeketten abheben. Der deutsche Second-Hand-Markt ist vielfältig und bietet für jeden Geschmack und jedes Budget die richtige Anlaufstelle.

Von großen Ketten wie Humana mit einer breiten, gemischten Auswahl bis hin zu kuratierten Vintage-Boutiquen, die sich auf spezielle Epochen oder Designer spezialisiert haben, ist alles dabei. Soziale Einrichtungen wie die Kleiderkammern von Caritas und Diakonie oder die Läden von Oxfam verbinden den Kauf mit einem guten Zweck. Online-Plattformen wie Vinted (ehemals Kleiderkreisel) haben den Tausch und Verkauf von Privatperson zu Privatperson revolutioniert und bieten eine schier unendliche Auswahl.

Um bei dieser Vielfalt den Überblick zu behalten, hilft eine vergleichende Betrachtung. Die folgende Tabelle, basierend auf einer Analyse gängiger Optionen in Deutschland, bietet eine Orientierung für Ihre nächste Schatzsuche.

Second-Hand-Optionen in Deutschland im Vergleich
Option Preisniveau Qualität Besonderheiten
Humana Niedrig-Mittel Gemischt Große Auswahl, viele Filialen
Oxfam Mittel Gut geprüft Erlös für wohltätige Zwecke
Kleiderkammer (Caritas/Diakonie) Sehr niedrig Gemischt Soziale Einrichtung
Vintage-Boutiquen Hoch Kuratiert Ausgewählte Designerstücke
Vinted/Kleiderkreisel Variabel Variabel Online, private Verkäufer

Erfolgreiches Stöbern, insbesondere auf Flohmärkten, folgt eigenen Regeln. Mit ein paar Profi-Tipps lässt sich die Ausbeute deutlich verbessern:

  • Der frühe Vogel fängt den Schatz: Seien Sie zwischen 7 und 9 Uhr morgens vor Ort, um die beste Auswahl zu haben.
  • Verhandlungsgeschick: Die Frage „Was ist der letzte Preis?“ gehört zum guten Ton und wird oft erwartet.
  • Qualitätscheck vor Ort: Überprüfen Sie Nähte, Reißverschlüsse und den Zustand des Stoffes genau, bevor Sie kaufen.
  • Bargeld ist König: Viele Händler, insbesondere auf Flohmärkten, akzeptieren keine Kartenzahlung.
  • Die eigene Tasche: Bringen Sie einen wiederverwendbaren Beutel mit, um Plastiktüten zu vermeiden.

Jeder Kauf aus zweiter Hand ist eine aktive Entscheidung gegen Neuproduktion und ein Beitrag zur Kreislaufwirtschaft – ein zentraler Gedanke der Slow Fashion.

Die Geschichte in Ihren Kleidern: Warum wir die Dinge mehr lieben, deren Herkunft wir kennen

Was unterscheidet ein anonymes T-Shirt aus einem Massenmarkt von einem handgestrickten Pullover von der Großmutter? Es ist die Verbindung. Wir entwickeln eine tiefere emotionale Bindung zu Objekten, deren Geschichte wir kennen. Diese Geschichte kann die Person sein, die es hergestellt hat, der Ort, von dem es stammt, oder die Erlebnisse, die wir selbst damit verbinden. Slow Fashion fördert genau diese emotionale Nachhaltigkeit, indem sie die Anonymität der globalen Lieferketten durchbricht.

Wenn wir wissen, dass ein Kleidungsstück in einer kleinen Manufaktur in Deutschland gefertigt wurde, von einer Designerin, die ihre peruanischen Wurzeln in ihre Arbeit einfließen lässt, oder wenn wir die Person hinter der Nähmaschine kennen, verändert sich unsere Wahrnehmung. Das Kleidungsstück erhält eine Seele, eine Kleidungsstück-Biografie. Es wird von einem reinen Konsumgut zu einem Träger von Kultur, Handwerk und menschlicher Mühe. Elina Weinberg, Gründerin des deutschen Slow-Fashion-Labels Urstil, fasst diesen Gedanken prägnant zusammen:

Ich kenne meine Hersteller und ich weiß, wer an der Nähmaschine sitzt.

– Elina Weinberg, Urstil Gründerin über Slow Fashion Produktion

Diese Transparenz schafft eine Beziehung, die über den reinen Besitz hinausgeht. Sie führt zu mehr Wertschätzung und damit automatisch zu mehr Sorgfalt. Wir pflegen und reparieren eher, was uns am Herzen liegt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Arbeit der Berliner Designerin Marisa Fuentes Prado, die mit ihrem Label Maqu zeigt, wie High Fashion, ethische Standards und die persönliche Geschichte der Designerin zu einem untrennbaren Ganzen verwoben werden können.

Indem wir uns für Kleidung mit einer nachvollziehbaren Geschichte entscheiden oder unseren eigenen Stücken durch Erlebnisse eine Geschichte verleihen, praktizieren wir die tiefste Form der Nachhaltigkeit.

Kaufen für die nächste Generation: Warum ein einziges Designerstück nachhaltiger ist als 100 Trendteile

Der Impuls, ein günstiges Trendteil zu kaufen, ist verständlich. Doch die wahre Rechnung wird oft unsichtbar bezahlt – von der Umwelt und den Menschen in der Produktionskette. Slow Fashion plädiert für einen radikalen Perspektivwechsel: weg von der kurzfristigen Befriedigung, hin zur langfristigen Investition. Es geht darum, Kleidung nicht für eine Saison, sondern für ein Leben – oder sogar für die nächste Generation – zu kaufen.

Ein hochwertiges, zeitlos gestaltetes Kleidungsstück aus exzellenten Materialien mag in der Anschaffung teurer sein. Doch auf seine Lebensdauer gerechnet, ist es oft die günstigere und vor allem nachhaltigere Wahl. Die Produktionskosten eines einzigen Fast-Fashion-T-Shirts sind immens. Eine erschreckende Bilanz zeigt, dass für die Herstellung eines einzigen Baumwoll-T-Shirts rund 2.700 Liter Wasser benötigt werden – eine Menge, die den Trinkwasserbedarf einer Person für zweieinhalb Jahre deckt. Stellt man dem die 100 T-Shirts gegenüber, die man im Laufe der Jahre als Ersatz für minderwertige Teile kauft, wird das Ausmaß der Ressourcenverschwendung deutlich.

Hochwertige zeitlose Kleidungsstücke als Investment für Generationen

Ein „Investment Piece“ – sei es ein perfekt geschnittener Wollmantel, ein Paar rahmengenähte Schuhe oder ein Kaschmirpullover – trotzt den flüchtigen Trends. Es ist so konzipiert, dass es in Würde altert, dass seine Patina eine Geschichte erzählt und dass es repariert werden kann. Es verkörpert eine materielle Achtsamkeit, die in der Wegwerfkultur verloren gegangen ist. Es geht um Qualität, die man fühlen und über Jahrzehnte erleben kann.

Anstatt den Kleiderschrank mit kurzlebigen Teilen zu füllen, bauen wir eine kuratierte Garderobe aus Lieblingsstücken auf, die uns lange begleiten und die wir vielleicht eines Tages mit Stolz weitergeben.

Keine Angst vor dem Hammer: Der ultimative Anfänger-Guide für Ihre erste Werkzeugkiste und die 5 wichtigsten Grundfertigkeiten

Die Entscheidung für Slow Fashion ist auch eine Entscheidung für mehr Selbstermächtigung. Die Fähigkeit, die eigenen Kleider zu pflegen und zu reparieren, ist der Schlüssel zur Unabhängigkeit von der Konsumspirale. Doch viele von uns haben den Umgang mit Nadel und Faden verlernt. Der erste Schritt zur Rückeroberung dieser handwerklichen Souveränität ist die richtige Ausrüstung. Man braucht keine professionelle Schneiderei, sondern nur eine kleine, gut sortierte Werkzeugkiste für textile Notfälle und Pflegerituale.

Neben der Grundausstattung sind es einige wenige Fertigkeiten, die bereits einen großen Unterschied machen. Dazu gehören: einen Knopf annähen, einen Saum von Hand flicken, ein kleines Loch stopfen, einen Fusselrasierer richtig anwenden und ein Kleidungsstück mit Dampf auffrischen. Diese Fähigkeiten sind einfacher zu erlernen, als man denkt, und es gibt unzählige Anleitungen online. Für spezielle Fälle wie empfindliche Strickwaren gibt es sogar professionelle Hilfe. Die „Allude Cashmere Clinic“ etwa bietet einen spezialisierten Reparaturservice, der selbst Mottenlöcher in Kaschmir unsichtbar machen kann und zeigt, wie wertvoll Pflege und Reparatur sind.

Der Aufbau einer eigenen textilen Werkzeugkiste ist der erste, konkrete Schritt, um vom passiven Konsumenten zum aktiven Kümmerer zu werden. Die folgende Checkliste fasst die wichtigsten Utensilien zusammen.

Ihr Aktionsplan: Die 10 unverzichtbaren Utensilien für die textile Werkzeugkiste

  1. Nahtauftrenner: Für präzises und beschädigungsfreies Öffnen von Nähten.
  2. Fusselrasierer: Zur Auffrischung von Wollpullovern und zur Entfernung von Pilling.
  3. Dampfbürste oder Steamer: Für faltenfreie Kleidung ohne die aggressive Hitze eines Bügeleisens.
  4. Verschiedene Nadeltypen: Ein kleines Set mit Universal-, Jersey- und Ledernadeln deckt das meiste ab.
  5. Hochwertiges Garn: Beginnen Sie mit Schwarz, Weiß, Grau und Blau – das passt zu fast allem.
  6. Stoffschere: Eine scharfe Schere, die ausschließlich für Stoff verwendet wird.
  7. Schneiderkreide: Zum unkomplizierten Markieren von Stoffen für Änderungen.
  8. Maßband: Unerlässlich für jegliche Anpassungen.
  9. Sicherheitsnadeln: Für schnelle, temporäre Fixierungen oder um Gummibänder durchzuziehen.
  10. Knopf-Sortiment: Eine kleine Sammlung von Basis-Knöpfen in verschiedenen Größen rettet jedes Hemd.

Jedes Mal, wenn Sie selbst etwas reparieren, stärken Sie nicht nur Ihr Kleidungsstück, sondern auch das Vertrauen in Ihre eigenen Fähigkeiten.

Die große Kleiderschrank-Inventur: Eine Anleitung zum Loslassen in 4 Schritten

Der Weg zu einem Slow-Fashion-Lebensstil beginnt nicht im Laden, sondern vor dem eigenen Kleiderschrank. Bevor wir über Neuanschaffungen nachdenken, müssen wir verstehen, was wir bereits besitzen, was wir lieben und was nur Platz wegnimmt. Eine ehrliche Inventur ist oft ein augenöffnender Prozess. Eine Greenpeace-Studie für Deutschland kam zu dem erschreckenden Ergebnis, dass rund 19 % der Kleidungsstücke in unseren Schränken nie getragen werden. Das entspricht etwa einer Milliarde ungenutzter Kleidungsstücke allein in Deutschland – eine stille Mahnung an unsere Konsumgewohnheiten.

Das Ausmisten kann emotional sein, aber mit einer strukturierten Methode wird es zu einem befreienden Ritual des Loslassens und der Neuausrichtung. Folgen Sie diesen vier Schritten:

  1. Alles raus: Räumen Sie Ihren kompletten Kleiderschrank leer. Jedes einzelne Teil muss in die Hand genommen werden. Nur so erhalten Sie einen echten Überblick über die schiere Menge.
  2. Die drei Stapel: Sortieren Sie jedes Stück auf einen von drei Stapeln. Behalten: Teile, die Sie lieben, die Ihnen passen und die Sie regelmäßig tragen. Vielleicht: Teile, bei denen Sie unsicher sind. Legen Sie diese für eine „Probezeit“ von drei Monaten beiseite. Was Sie danach nicht vermisst haben, kann gehen. Loslassen: Alles, was kaputt ist (und nicht repariert wird), nicht mehr passt oder seit über einem Jahr ungetragen ist.
  3. Die bewusste Entscheidung: Gehen Sie den „Behalten“-Stapel durch. Was muss repariert oder gepflegt werden? Entdecken Sie alte Lieblinge neu und überlegen Sie, wie Sie diese neu kombinieren können. Dies ist der Kern Ihrer neuen, bewussten Garderobe.
  4. Wertschätzend weitergeben: Der „Loslassen“-Stapel ist kein Müll. Gut erhaltene Kleidung kann verkauft (z. B. über Vinted oder Momox Fashion), gespendet (z. B. an lokale Frauenhäuser oder Sozialkaufhäuser) oder an Freunde weitergegeben werden. Kaputte Textilien gehören ins Textilrecycling.

Am Ende steht nicht Leere, sondern Klarheit: ein Schrank, gefüllt nur mit Stücken, die Ihnen wirklich Freude bereiten und die es wert sind, gepflegt zu werden.

Das Wichtigste in Kürze

  • Slow Fashion ist eine Haltung der Achtsamkeit, die den gesamten Lebenszyklus eines Kleidungsstücks wertschätzt, nicht nur den Kauf.
  • Reparieren, Pflegen und das bewusste Tragen sind aktive Gesten, die den Wert unserer Kleidung steigern und eine persönliche Geschichte schaffen.
  • Der bewusste Verzicht auf Überkonsum und die Hinwendung zu Qualität, Second-Hand und handwerklichen Fähigkeiten führen zu einem erfüllenderen und nachhaltigeren Lebensstil.

Die Macht der eigenen Hände: Wie das Erlernen von DIY-Fähigkeiten Ihr Leben und Ihre Denkweise verändert

Der Slow-Fashion-Lebensstil gipfelt in einer tiefgreifenden Erkenntnis: Wir sind nicht nur Konsumenten, sondern auch Gestalter. Die Fähigkeit, mit den eigenen Händen etwas zu pflegen, zu reparieren oder gar zu erschaffen, verändert unsere Beziehung zur materiellen Welt fundamental. Wenn wir lernen, einen Saum zu flicken oder einen Pullover zu stopfen, durchbrechen wir die erlernte Hilflosigkeit, die uns bei jedem kleinen Makel zum Neukauf treibt. Wir erlangen eine Form von Souveränität zurück.

Dieser Wandel ist bereits im Gange. Die Bereitschaft, nachhaltiger zu konsumieren, wächst stetig. Doch der wahre Schritt geht über den bewussten Kauf hinaus. Es ist der Schritt hin zum aktiven Tun. Initiativen wie die deutschlandweiten Repair Cafés sind dafür ein wunderbares Beispiel. Sie sind nicht nur Reparaturwerkstätten, sondern auch Lernorte und soziale Treffpunkte. Hier teilen erfahrene Freiwillige ihr Wissen und ermutigen Besucher, selbst Hand anzulegen. Das Reparaturcafé „Care & Repair“ in Hamburg etwa ist ein solcher Ort, an dem Besucher unter Anleitung lernen, ihre Textilien selbst zu retten, wie eine Übersicht von Reparatur-Initiativen zeigt.

Das Gefühl, ein geliebtes Kleidungsstück vor dem Müll bewahrt zu haben, stiftet eine Zufriedenheit, die kein Shopping-Erlebnis bieten kann. Es ist die Macht der eigenen Hände. Diese Erfahrung sickert langsam in andere Lebensbereiche durch. Wer seine Kleidung reparieren kann, traut sich vielleicht auch zu, ein wackeliges Stuhlbein zu leimen oder Kräuter auf dem Balkon zu ziehen. Es fördert eine Denkweise der Problemlösung und des Erhalts statt des ständigen Ersatzes.

Indem wir uns wieder mit den materiellen Prozessen verbinden, finden wir nicht nur zu einem nachhaltigeren Umgang mit Mode, sondern zu einer achtsameren und selbstbestimmteren Lebensweise insgesamt.

Häufige Fragen zum Slow Fashion Lebensstil

Sind Altkleidercontainer eine gute Option?

Vorsicht: Nicht alle Container dienen einem wohltätigen Zweck. Viele werden von kommerziellen Unternehmen betrieben, die die Kleidung gewinnbringend weiterverkaufen. Prüfen Sie immer den Betreiber auf dem Container. Seriöse Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz oder lokale karitative Verbände sind oft die bessere Wahl.

Welche lokalen Einrichtungen nehmen Spenden an?

Gut erhaltene und saubere Kleidung wird oft dringend gesucht. Fragen Sie direkt bei Ihrer lokalen Bahnhofsmission, in Frauenhäusern, Obdachlosenheimen oder bei Sozialkaufhäusern (wie die der Caritas oder Diakonie) an. Dort kommt Ihre Spende oft direkt bei Bedürftigen in Ihrer Region an.

Lohnt sich der Online-Verkauf?

Ja, insbesondere für Markenkleidung oder besondere Stücke. Plattformen wie Vinted (ehemals Kleiderkreisel), Momox Fashion oder eBay Kleinanzeigen bieten eine gute Möglichkeit, noch wertvolle Stücke zu Geld zu machen. Eine ehrliche Beschreibung und gute Fotos sind dabei der Schlüssel zum Erfolg.

Geschrieben von Lena Wagner, Lena Wagner ist eine Beraterin für nachhaltigen Konsum mit 8 Jahren Erfahrung in der Modebranche. Ihre Expertise liegt in der Entwicklung von minimalistischen Garderobenkonzepten und der Förderung von Slow Fashion.